Antriebe der Zukunft
«Dieselmotoren in grösseren Fahrzeugen werden noch lange bleiben»
12. Juni 2018 agvs-upsa.ch – Gute Nachricht für Besitzer, Käufer und Verkäufer von Dieselfahrzeugen: «Die aktuelle Stickoxid-Diskussion wird bald einer viel intensiveren CO2-Diskussion weichen», sagt Christian Bach, Abteilungsleiter Fahrzeugantriebssysteme bei der Empa. Er prophezeit CNG-Fahrzeugen eine positive Marktentwicklung.
kro. Der Diesel hat es schwer. War er bis vor zwei Jahren noch Retter der CO2-Grenzwerte, gilt er heute als Gefahr für Leib und Leben. Das ist völlig übertrieben…
Christian Bach: Ja und Nein. Das reale Abgasverhalten von aktuellen Dieselfahrzeugen ist nicht okay. Schuld daran ist aber meines Erachtens nicht nur die Autoindustrie. Die Abgasgesetzgebung, die bis letzten Herbst in Kraft war, war – insbesondere mit Blick auf die Motorsteuerung – total veraltet. Die harsche Kritik der EU-Kommission an den Dieselfahrzeugen ist deshalb auch etwas fadenscheinig… Ich glaube aber, dass die aktuelle NOx-Diskussion relativ bald einer viel intensiveren CO2-Diskussion weichen wird. Während die NOx-Emissionen mit besserer Technik lösbar sind, sind wir im Bereich der CO2-Emissionen noch relativ weit weg vor einer Lösung!
Würden Sie heute eine Diesel-Occasion oder einen Diesel-Neuwagen kaufen?
Es gibt Anwendungen, für die das Dieselfahrzeug schlicht die richtige Wahl ist. So etwa bei Lastanwendungen, zum Beispiel beim Anhängerbetrieb, oder im Langstreckenverkehr. Für solche Anwendungen würde ich auch heute noch ein Dieselfahrzeug kaufen. Bei hauptsächlich Innerorts- und Agglomerationsfahrten würde ich aber ein Gas- oder Elektrofahrzeug vorziehen. Für diesen Zweck sind diese besser und deutlich sauberer.
Dieselfahrzeuge ohne Partikelfilter sollten Händler generell nicht mehr in Zahlung nehmen und auch nicht mehr verkaufen. Dieselfahrzeuge bis und mit Euro 5 weisen einen deutlich höheren NO2-Anteil an den NOx-Emissionen auf. Diese Fahrzeuge sollten vor allem nicht mehr in Städten eingesetzt werden. In ländlichen Gebieten stellen sie ein viel geringeres Gesundheitsrisiko dar, da die NO2-Belastung dort deutlich niedriger ist. Bei Euro-6b-Fahrzeugen mit SCR-System sollte abgeklärt werden, ob eine Softwarenachrüstung erhältlich ist, die das NOx-Emissionsniveau auf «akzeptable» Werte senkt. Bei Euro 6d-temp- und Euro 6d-Dieselfahrzeugen schliesslich kann man generell von niedrigen Schadstoffwerten ausgehen.
Die Fahrzeughersteller malen die Zukunft des Diesels sehr unterschiedlich. Toyota zieht den Diesel schrittweise vom Markt. Europa ab, BMW-Chef Harald Krüger dagegen sagt: «Der BMW-Diesel hat Zukunft». Wer hat recht?
Die deutschen Hersteller haben viel in die Dieseltechnologie investiert, während japanische Hersteller eher neue Benzinmotor-Brennverfahren oder den Hybridantrieb weiterentwickeln. Deshalb verstehe ich, wenn japanische Hersteller eine etwas losere Bindung zum Diesel haben. Fakt ist, kein Antriebskonzept hat nur Vorteile, keines nur Nachteile. Wir gehen davon aus, dass Dieselmotoren aus kleineren Fahrzeugen verschwinden, aber in grösseren Fahrzeugen noch lange bestehen bleiben – natürlich nur mit sehr niedrigen NOx- und sonstigen Schadstoffemissionen.
Laut der Auto-i-dat AG liegt der Dieselanteil bei den neuen Personenwagen aktuell bei rund einem Drittel. Wo wird er in drei Jahren sein?
Das ist schwer abschätzbar. Aufgrund der hohen CO2-Reduktionsvorgaben für Personenwagen könnte der Dieselanteil durchaus wieder zunehmen. Das hängt sicher auch davon ab, ob das Image wieder verbessert werden kann.
Der Verbrennungsmotor wird auch in Zukunft eine Rolle spielen. Wo wird Ihrer Ansicht nach sein Marktanteil bei den neuen Personenwagen 2020, 2025 und 2030 liegen?
Wir erwarten ab 2020 insbesondere hohe Anteile an Hybridfahrzeugen mit zwei bis fünf Kilometern elektrischer Reichweite. Die Zusatzkosten sind sehr überblickbar und die Technologie wird vom Markt sehr gut aufgenommen. Diese Fahrzeuge weisen alle einen Verbrennungsmotor auf. Die Marktdurchdringung mit Elektrofahrzeugen ist schwer vorhersehbar, die verschiedenen Prognosen und Szenarien variieren enorm. Unsere Erwartungen orientieren sich deshalb eher an der Gesetzgebung. Die EU-Kommission plant, diese so zu gestalten, dass 2025 mindestens 15 Prozent und 2030 mindestens 30 Prozent der Neuwagen elektrisch angetrieben sein sollen – entweder als rein elektrische Fahrzeuge oder als Plug-in-Hybridfahrzeuge. Das erachte ich für die EU zwar als herausfordernd, aber machbar. Aufgrund der höheren Kaufkraft könnten die Anteile in der Schweiz höher sein. Nimmt man bei diesen Fahrzeugen einen Anteil von 50 Prozent rein elektrisch betriebenen und von 50 Prozent Plug-in-Hybrid an, so werden auch 2030 noch 80 bis 85 Prozent der Neuwagen und über 95 Prozent der Gesamtflotte einen Verbrennungsmotor aufweisen.
Wagen sie auch eine Prognose für die Entwicklung bei den leichten und schweren Nutzfahrzeugen?
Vermutlich wird ein grosser Teil der kleinen/mittleren Lieferwagen im städtischen Einsatzgebiet auf Elektroantrieb umgestellt. Das macht Sinn, sowohl bezüglich Energieverbrauch und Luftreinhaltung als auch betreffend Lärmemissionen. Bei den 3,5-Tonnen-Lieferwagen, bei denen wir eine starke Zunahme erwarten, wird der Dieselantrieb dominant bleiben, weil die Nutzlast bei fast allen anderen Antriebskonzepten deutlich abnimmt. Alleine der CNG-Antrieb könnte in diesem Segment auf einen relevanten Anteil kommen. LKW erhalten nach 2020 ebenfalls CO2-Vorschriften und voraussichtlich ab etwa 2025 Zielwerte, die nur mit Dieselantrieben nicht mehr einzuhalten sind. Dort erwarten wir, dass bei Langstreckenanwendungen der Dieselmotor die Hauptantriebsquelle bleiben wird und im gemischten Verteilverkehr und bei Bussen zunehmend CNG- und Wasserstoffantriebe eingesetzt werden.
Sie sagten im Herbst 2017, dass der Diesel «sauber» werden müsse und meinten damit die Reduktion des Stickoxidausstosses durch weiterentwickelte (SCR-)Katalysatoren. Wo stehen wir heute?
Die SCR-Technologie hat sich stark weiterentwickelt. Man versteht heute die AdBlue-Einspritzung, das Wandfilmverhalten, die Zersetzungsprozesse und Zwischenprodukte sowie die Katalyse sehr viel besser als noch vor ein paar Jahren. Zudem wurde auch bei der Hardware, zum Beispiel bei Injektoren, Abgasmischstrecken, Katalysatoren, deutliche Verbesserungen erzielt. Die grösste Verbesserung sehe ich bei optimierten Regelsystemen. Je besser beziehungsweise «physikalisch präziser» die Prozesse in der Abgasregelung abgebildet werden können, desto besser wird das Gesamtsystem und desto niedriger werden die NOx-Emissionen.
Bei der Entwicklung von Technologien zur Abgasreinigung steht die Empa in engem Kontakt zu den Fahrzeugherstellern. Dasselbe gilt für Zulieferer wie Bosch. Volkmar Denner, deren Chef, hat kürzlich verkündet, dass es seinen Ingenieuren gelungen sei, den Stickoxidausstoss von Dieselaggregaten drastisch zu reduzieren. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?
Neuere Veröffentlichungen zeigen, dass das NOx-Problem der Dieselfahrzeuge mit Euro-6d-Zulassung wirklich gelöst ist. Solche Fahrzeuge weisen in der Realität vergleichbar niedrige NOx-Emissionen auf wie Benzinfahrzeuge. Ohne die neue Abgasgesetzgebung mit Strassenmessungen wäre das vermutlich nicht der Fall gewesen.
Ist man hier nicht in einem Dilemma? Den Stickoxidausstoss zu reduzieren, heisst, den Treibstoff- und AdBlue-Verbrauch zu erhöhen. So wird ein starkes Argument pro Diesel entschärft …
Nein, nicht unbedingt. Mit einer guten NOx-Nachbehandlung kann man den Motor effizienter auslegen. Dabei müssen Motorauslegung und -betrieb, Gemischbildung, Verbrennung, innermotorische Massnahmen und Abgasnachbehandlung optimal aufeinander abgestimmt werden. Das ist komplexer, als es scheint. Gelingt dies aber, hat der Dieselmotor selbst bei sehr niedrigen NOx-Emissionen noch eine deutliche Verbrauchsreduktion vor sich.
Wird nach dem neuen Prüfablauf (WLTP) gemessen, weisen die Fahrzeuge fast ausnahmslos höhere Verbrauchs- und Schadstoffwerte aus, als beim alten Prüfzyklus (NEFZ). Heisst das, dass die CO2-Grenzwerte erst recht nicht erreicht werden?
Der Umstieg auf das neue WLTP-Messverfahren bügelt viele Schwachstellen des bisherigen NEFZ-Messverfahrens aus. Beispielsweise konnten Mittelklassefahrzeuge bisher bis zu 300 Kilogramm leichter gemessen werden, als sie tatsächlich herumfahren. Das führte zwar zu guten Laborverbrauchswerten, gleichzeitig aber auch zu hohen Mehrverbräuchen in der Realität. Insgesamt erwarten wir durch den Umstieg auf den WLTP eine Erhöhung der CO2-Normemissionen der schweizerischen Neuwagenflotte um gegen zehn Gramm/Kilometer – bei kleineren Fahrzeugen rechnen wir mit etwas mehr, bei grösseren Fahrzeugen mit etwas weniger. Die Zielerreichung wird damit definitiv noch herausfordernder.
Alles spricht von einem e-Boom, aber der Anteil an Elektrofahrzeugen auf Schweizer Strassen ist nach wie vor sehr tief. Warum?
Der Anteil an Elektrofahrzeugen wird ziemlich sicher ansteigen, weil der Gesetzgeber dies mehr oder weniger klar vorgibt. Allerdings gibt es auch einige Limitierungen, wie die Installation von Lademöglichkeiten in Mehrfamilienhäusern oder Mietwohnungen oder die heute noch deutlich höheren Anschaffungskosten von Elektrofahrzeugen. Bei den Plug-in-Hybridfahrzeugen sind wir etwas skeptisch. Diese Fahrzeuge weisen mit guten Laborwerten, aber einem viel höheren Verbrauch in der Realität das gleiche problematische Profil wie die viel bescholtenen Dieselfahrzeuge auf. Wenn wir etwas aus dem Dieselskandal gelernt haben, sollten wir bei Fahrzeugen mit einem solchen Profil durchaus etwas vorsichtig sein.
Ist es tatsächlich so, dass die Total Cost of Ownership (TCO), also die Gesamtkosten des Betriebs, über die gesamte Betriebszeit gesehen heute bei einem Elektrofahrzeug bereits günstiger sind als bei einem Verbrennungsmotor?
Die TCO über die gesamte Betriebszeit sind heute bei einem Elektrofahrzeug in vielen Fällen bereits günstiger als bei einem konventionellen verbrennungsmotorischen Fahrzeug. Dies, weil die Energie nicht besteuert ist und das Fahrzeug oftmals von einigen Steuerermässigungen profitiert. Relevanter sind allerdings die TCO der ersten drei bis vier Jahre, in welchen dies in der Regel nicht der Fall ist. In diesem Zeitraum sind die Kapitalkosten beziehungsweise die Abschreibung hoch und werden durch die niedrigeren Energiekosten in den meisten Fällen nicht kompensiert. Grundsätzlich gehen wir aber davon aus, dass für den Kauf eines Elektrofahrzeugs in vielen Fällen nicht die Kosten entscheidend sind. Es gibt Anwendungen, für die das Elektroauto einfach sinnvoll ist. Dort werden sie eine Marktverbreitung finden. In anderen Bereichen werden sie sich nicht durchsetzen – Förderung hin oder her.
Und wie sieht es generell bei der Energie- und CO2-Bilanz aus? Sehen Sie auch hier das Elektromobil heute schon im Vorteil?
Die Antwort hängt von den Rahmenbedingungen, wie der Batteriegrösse, der Stromherkunft und der Art des Einsatzes ab. Vereinfacht lässt sich sagen, dass Elektrofahrzeuge sauberer sind als mit fossiler Energie betriebene Fahrzeuge, sofern sie nicht zu grosse Batterien haben und mit erneuerbarem Strom geladen werden. Das gleiche gilt aber auch für CNG-Fahrzeuge, die mit Biogas betrieben werden. Bezüglich CO2-Bilanz ist nicht das Antriebskonzept entscheidend, sondern die genutzte Energie.
Wo sehen Sie aktuell und in den kommenden zwei, drei Jahren die grösste Herausforderung im Bereich der rein elektrisch betriebenen Fahrzeuge?
Die grössten Herausforderungen sehen wir bei der Strombereitstellung, der Ladeinfrastruktur und den Rohstoffen für die Batterieproduktion, insbesondere bei Kobalt. Die Stromherkunft ist in den meisten Ländern der Erde fossil; leider oft gar aus Kohle, was beim Umstieg auf elektrische Fahrzeuge gar zu einer deutlichen Erhöhung der CO2-Emissionen führt. Beim Aufbau der Ladeinfrastruktur gibt es verschiedene Herausforderungen: Während die Installation eines Ladegeräts für Einfamilienhausbesitzer mit Doppelgarage kein Problem darstellt, ist es für Tiefgaragenplatzbesitzer schon deutlich schwieriger und für «Strassenrandparkierer» fast unmöglich. Die dritte Problemzone sehe ich bei der Rohstoffversorgung für die Batterieproduktion. Insbesondere bei der Kobalt-Förderung gibt es im sozialen Bereich noch grosse Probleme.
Elektrofahrzeuge weisen bis zu 80 Prozent weniger Verschleissteile auf als Autos mit Verbrennungsmotor. Wo sehen Sie für den Garagisten Möglichkeiten, im Aftersales-Bereich im Geschäft zu bleiben?
Die Elektromobilität wird sicher auch zu neuen Geschäftsmodellen führen. Dazu gibt es aber ausgewiesene Experten.
In den Schwellenländern wird die Nachfrage nach Mobilität und damit nach Fahrzeugen in den nächsten zehn Jahren signifikant ansteigen. Wird das Angebot an elektrifizierten Fahrzeugen überhaupt Schritt halten können?
Die Automobilindustrie ist global aufgestellt und sehr leistungsstark. Entwickeln sich Märkte, ist die Automobilindustrie sehr schnell in der Lage, auf erhöhte Nachfragen zu reagieren.
Die Experten scheinen sich einig: Mit einem (noch) tieferen Anteil an Dieselfahrzeugen können die CO2-Grenzwerte bis Anfang 2021 nicht erreicht werden – ausser mit einem deutlich höheren Einsatz von CNG-Fahrzeugen. Was spricht dafür?
Aus meiner Sicht sprechen die Kosten, der Reifegrad sowie die Umwelt- und Klimabelastung für eine positive Marktentwicklung bei den CNG-Fahrzeugen. Obwohl sich CNG-Fahrzeuge in einer Nische befinden, sind die TCO nicht höher als diejenigen von Benzinfahrzeugen. Zudem ist diese Technologie ausgereift und erprobt. Es gibt derzeit weltweit rund 20 Millionen Gasfahrzeuge. Kann sich dieser Markt auch nur leicht entwickeln, sind CNG-Fahrzeuge sogar deutlich günstiger als Benzinfahrzeuge. Schliesslich weisen CNG-Fahrzeuge sehr niedrige Schadstoffemissionen und deutlich niedrigere CO2-Emissionen auf, als Benzinfahrzeuge. Mit Biogas betriebene Gasfahrzeuge sind bezüglich CO2-Lebenszyklusemissionen vergleichbar sauber wie mit erneuerbarem Strom betriebene Elektroautos.
Warum konnte sich CNG als Antriebsquelle noch nicht durchsetzen?
Bisher konnte sich neben Benzin- und Dieselfahrzeugen noch keine andere Antriebsquelle durchsetzen, sieht man von Benzin-Hybridfahrzeugen ab. Mit der neuen Energiestrategie, dem Pariser Klimaabkommen und den neuen CO2-Vorschriften ändert sich aber weltweit auch in der Mobilität einiges. Vor diesem Hintergrund sind CNG-Fahrzeuge sehr gut aufgestellt. Insbesondere im Bereich der Flottenfahrzeuge erkennen wir ein gewisses Umdenken. Zudem steigen die Verkaufszahlen von CNG-Fahrzeugen in Deutschland zurzeit stark an. Durchaus möglich, dass CNG der neue Diesel wird…
Zum Schluss: Mit welchem Antrieb sind Sie unterwegs?
Ich fahre privat seit acht Jahren ein CNG-Fahrzeug, weil das Glatttal, wo ich wohne, sehr gut mit CNG-Tankstellen versorgt ist. Diese Entscheidung fällten wir, weil wir so mit erneuerbarer Energie fahren können, unseren Wohnwagen ziehen konnten und – dank des Benzintanks – auch bei Ferienreisen nie liegen bleiben. Ich bin damit sehr zufrieden.