​Ein Fall für die Wettbewerbshüter?

Agenturmodell

​Ein Fall für die Wettbewerbshüter?

14. Juni 2021 agvs-upsa.ch – Verschiedene Autohersteller beabsichtigen die Einführung von Agenturmodellen oder haben diese bereits eingeführt. Die Pläne sind umstritten – nicht nur bei den betroffenen Händlern. 

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Foto: Daimler

sco. «Als Folge der Digitalisierung einerseits und der Veränderung des Kundenverhaltens andererseits wird sich das Verhältnis zwischen Automobilherstellern und ihren Vertragshändlern weiter zu Lasten des Handels verändern. Denn es ist damit zu rechnen, dass Automobilhersteller zunehmend mehr in direkten Kontakt zu Endkunden treten und einen Teil des Geschäfts selbst übernehmen werden. Die Rolle des Automobilhandels in der Wertschöpfungskette wird somit neu definiert werden.» Dieser Passus stammt aus einem Positionspapier des Zentralverbands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK), dem deutschen Pendant zum AGVS. Gezeichnet ist das Dokument von Antje Woltermann, Geschäftsführerin Betriebs-, Volkswirtschaft und Fabrikate.

Obwohl aus dem Jahr 2017 ist das Positionspapier heute aktueller denn je. So vertreibt Volkswagen in Deutschland seine Elektromodelle VW ID.3 und ID.4 im Agenturmodell und ist damit Vertragspartner des Autokäufers. Daimler hat in Schweden ein sogenanntes echtes Agenturmodell eingeführt, ab Sommer folgt der Markt Österreich und auch in Deutschland wird darüber diskutiert. Für die Mercedes-Händler in unserem nördlichen Nachbarland ist das nicht gänzlich neu. Seit Jahrzehnten verkaufen sie die Fahrzeuge mit dem Stern in einem sogenannten «unechten Agenturmodell», in einer Mischung aus Vertragshändlersystem und Agenturmodell. Die deutschen Mercedes-Vertreter verkaufen Neuwagen im Namen und auf Rechnung der Daimler AG. «Bestimmte Kosten und Risiken, beispielsweise die Lagerwagenhaltung, trägt Daimler», erklärt Antje Woltermann. «Und der Mercedes-Vertreter hat – anders als im echten Agenturmodell – einen gewissen Spielraum bei der Preisgestaltung.» Die deutschen Mercedes-Händler, so die ZDK-Geschäftsführerin, seien grundsätzlich zufrieden, könnten mit dem aktuellen Modell leben.

Doch dieses unechte Agenturmodell soll in ein echtes Handelsvertretersystem übergehen. Hier begibt sich Daimler auf rechtlich schwieriges Terrain. Grund ist das Handelsvertreterprivileg, zu dem die EU-Kommission im Kartellrecht schon 2010 Handlungsempfehlungen formuliert hat. Es besagt, dass der Handelsvertreter resp. Agent keine wirtschaftlichen und rechtlichen Risiken übernimmt. Einzige Ausnahme ist das Risiko des Provisionsverlusts, sollte ein Geschäft platzen. Alle anderen Risiken und Kosten, beispielsweise Vorgaben für die Gestaltung des Showrooms, verpflichtende Mitarbeiterschulungen oder bestimmte Leistungen im Service, muss laut EU-Kommission der Hersteller in einem echten Agenturmodell selbst tragen. «Nur wenn diese Kosten komplett ersetzt werden, kann man auch mit fünf Prozent Marge leben», zitiert das deutsche Fachmagazin «Automobilwoche» einen Brancheninsider. Es bleibt abzuwarten, wie dieses Thema bei Mercedes-Benz gelöst wird.

Einen anderen Weg geht der VW-Konzern, der seine ID-Modelle im Agenturmodell vertreiben will, die Verbrenner jedoch nach wie vor im bekannten Markenhändlersystem. Auch in diesem Mischsystem von Händler und Agent stellt sich die Frage nach der Aufteilung der Kosten. Schon vor einem Jahr wurden die Verträge zum neuen Vertriebsmodell unterschrieben. «100 Prozent der Handelspartner haben Agenturverträge unterschrieben», jubelte die Medienstelle des VW-Konzerns und zitierte Holger B. Santel, Leiter Vertrieb und Marketing Deutschland: «Die breite Zustimmung unserer Handelspartner für das Agenturmodell ist ein starkes Signal für die Zukunft.»  So ganz einfach war es aber nicht, verrät Antje Woltermann: «Der Händlerverband hat mit VW sehr kontrovers über die neuen Verträge diskutiert, bevor man sich geeinigt hat.» Der ZDK  beobachtet die  Entwicklung «durchaus kritisch».

Das tun offensichtlich auch die Wettbewerbshüter der Europäischen Union. Ein Arbeitspapier der EU-Kommission, das AUTOINSIDE vorliegt, befasst sich explizit mit Vertriebsmodellen, in denen Händler im selben Markt sowohl als Agenten wie auch als unabhängige Händler für verschiedene Produkte desselben Herstellers agieren. Das Arbeitspapier nennt drei Arten von finanziellen oder geschäftlichen Risiken im Zusammenhang mit dem Agenturmodell:
  • Risiken, die direkt mit den vom Handelsvertreter im Namen des Herstellers abgeschlossenen und/oder ausgehandelten Verträgen zusammenhängen. Das kann beispielsweise die Finanzierung von ­Lagerwagen sein.
  • Risiken im Zusammenhang mit marktspezifischen Investitionen. Hier geht es um Investitionen, die speziell für die Art der Tätigkeit erforderlich sind, für die der Vertreter vom Hersteller beauftragt wurde, beispielsweise in die Einrichtung des Showrooms.
  • Risiken im Zusammenhang mit anderen Tätigkeiten, die vom Handelsvertreter auf demselben Produktmarkt ausgeübt werden, soweit der Auftraggeber vom Vertreter verlangt, dass er diese Tätigkeiten nicht als Vertreter im Namen des Auftraggebers ausübt, sondern auf eigenes Risiko. Hier geht es – um beim Beispiel Volkswagen zu bleiben – um die Tatsache, dass die Garagisten die ID-Modelle als Agenten vertreiben, die Verbrenner jedoch als eigenständige Unternehmer und auf eigenes Risiko.
«Die Hersteller dürfen es sich nicht zu einfach machen», sagt Antje Woltermann. Wenn der Hersteller die Verkaufspreise bestimme, dann müsse er im Gegenzug  alle Kosten und Risiken übernehmen. Und im Falle einer Doppelfunktion Agent/unabhängiger Händler stellt sich zusätzlich die Frage, wer welchen Teil der Kosten trägt. Muss VW seinen Handelspartnern künftig Miete für die ID-Modelle im Showroom bezahlen? Es bleibt spannend.
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