Wer erfand den VW Käfer?
Der vergessene Josef Ganz
10. März 2023 agvs-upsa.ch – Der Ingenieur, der in Zürich den «Schweizer Volkswagen» entwarf, gilt manchen Autohistorikern auch als der vergessene wahre «Vater» des VW Käfers. Zwar bleibt Josef Ganz’ Käfer-Anteil umstritten – aber unumstritten ist, wie gross sein Erfindungsgeist und auch die Tragik seiner späteren Jahre waren.
In den 1920er- und frühen 1930er-Jahren arbeitet Josef Ganz etwa für Mercedes (l.) oder Adler (r.). Alle Fotos: josefganz.org
tpf. Eine Mietwohnung in Melbourne, Australien, 1967. Vielleicht denkt der ältere Herr gerade an Zürich und seinen kleinen «Schweizer Volkwagen» zurück, als im Fernsehen plötzlich der grosse Volkswagen läuft und läuft. Zehn Millionen VW Käfer! Erwähnt wird dessen «Vater» Ferdinand Porsche. Erwähnt werden auch als «Mitväter» Béla Barényi (Mercedes) und Hans Ledwinka (Skoda), die sich ihren Rang als Käfer-Beteiligte gerichtlich hatten erstreiten müssen. Nur der Name Josef Ganz fällt nie. Sein Name. Mit 69 Jahren rebelliert Ganz ein letztes Mal. «Ich habe den Käfer erfunden!», sagt er einer Lokalzeitung. Doch die Autowelt, die hört ihn nicht mehr.
In Zürich entwickelt Ganz einen «Schweizer Volkswagen» – doch dann beginnt der Zweite Weltkrieg.
Das war mal ganz anders. In die Zeitung kommt Ganz erstmals bereits als Bub. Im heimischen Wien hat er eine Schutzvorrichtung für die Strassenbahn entwickelt. Patent erteilt – mit zwölf Jahren! Der Bub wird zum Maschinenbauingenieur Josef Ganz und Chefredaktor der Frankfurter «Motor-Kritik». Deutschland fehle ein Massenauto à la Ford Model T, sagt Ganz. Und entwirft 1923 eins. Mit Zutaten wie am späteren Käfer – Zentralrohrrahmen, Pendelachse, Heckmotor – werden daraus 1930 und 1931 zwei Prototypen. Den zweiten tauft Ganz der Form wegen «Maikäfer». Ganz ist ein Autojemand, arbeitet für Adler, Ardie, BMW, Mercedes. Standard aus Ludwigsburg lanciert 1933 Ganz’ Ideen im Superior in Serie. Werbeslogan: «deutscher Volkswagen».
An der Automesse 1933 in Berlin verweilt ein Besucher auffällig lange am Superior: Reichskanzler Adolf Hitler. Ganz ist Jude – aber ihm selbst ist das völlig egal. Und als eine Nazi-Postille ihn «jüdischen Schädling» nennt, zieht er vor Gericht. Und gewinnt. Noch. Dann brennt der Reichstag, die Diktatur beginnt. Die Gestapo holt Ganz, ein Monat Haft, Autofirmen müssen ihm kündigen. Aber die Gefahr begreift Ganz wohl erst, als ihn ein früherer Kunde warnt, Hitler werde sich den Volkswagen kaum von den Patenten eines Juden verderben lassen. Ganz flüchtet 1934 in die Schweiz: Sein Vater war «NZZ»-Autor, Ganz hat hier Verwandte. Deutschland entzieht ihm 1938 Pass und Patente. Im selben Jahr krabbelt ganz ohne Ganz der spätere VW Käfer als «KdF-Wagen» los.
In Australien arbeitet Ganz nach dem Landesverweis der Schweiz für die GM-Marke Holden.
In Zürich blickt Ganz unverdrossen nach vorne. Gefördert vom Bund, entwirft er bei Rapid in Dietikon ZH den «Schweizer Volkswagen». Doch wieder kommen ihm die Nazis in die Quere: Der Zweite Weltkrieg stoppt das Projekt. Und die Schweiz ist nicht frei von Antisemitismus: Ganz wird denunziert, im Zürcher Polizeirapport steht was von «Parasit». Ganz informiert die Presse. Ein Skandal! Der «Tages-Anzeiger» ist auf Ganz’ Seite, nicht mehr aber die Schweizer Obrigkeit. Nach dem Krieg scheitert der jetzt veraltete «Schweizer Volkswagen» nach 36 Stück. Ganz steht vor dem Nichts und verklagt Volkswagen. Er will doch nur sein Recht, aber gilt als schwierig.
Streitfrage: Basierte der VW Käfer auf Ganz’ Ideen für den Standard Superior? Foto: VW
Behörden empfinden Ganz nun als Querulant. Dass seine Kufenfederung den Schweizer Bob an den Olympischen Winterspielen 1948 in St. Moritz zu Gold gleiten lässt, hilft nichts mehr: 1950 wird seine Aufenthaltsbewilligung nicht verlängert. Der 52-Jährige ist nun ein staatenloser Niemand. Der erste Herzinfarkt. Ganz will nur noch weg, möglichst weit weg: In Melbourne arbeitet er als Ingenieur der General-Motors-Tochter Holden.
Unumstritten bleibt: Ganz war ein exzellenter Ingenieur. Umstritten bleibt bis heute, wie gross sein Käfer-Anteil war: War er «Vater», Miterfinder, Inspirator oder «nur» zufällig Parallelvisionär? War sein Superior die Käfer-Blaupause? Darüber streiten Autohistoriker. Fakt ist: Das technische Konzept war seinerzeit nicht nur bei Ganz en vogue, der Begriff «Volkswagen» nicht neu. Doch wahr ist auch: Die Parallelen sind verblüffend.
Vielleicht liegt die Wahrheit in der Mitte. Zumal 1961 plötzlich alles nach Happyend aussieht: Jetzt will die Bundesrepublik Deutschland Ganz das Bundesverdienstkreuz verleihen und VW-Boss Heinrich Nordhoff ihn als Ingenieur nach Wolfsburg holen. Ganz strahlt. Doch er muss ablehnen – ein australisches Gesetz. Und schafft es nicht mehr nach Wolfsburg – ein erneuter Herzinfarkt. Es ist vorbei, Ganz kann nicht mehr, ist krank und gebrochen. Er gibt auf. Seine Suche nach Anerkennung und sich selbst: 1967, im Jahr des zehnmillionsten Käfers, stirbt Josef Ganz. Ganz allein. Der Käfer krabbelt bis 2003 weiter und findet 21,5 Millionen Freunde.
In den 1920er- und frühen 1930er-Jahren arbeitet Josef Ganz etwa für Mercedes (l.) oder Adler (r.). Alle Fotos: josefganz.org
tpf. Eine Mietwohnung in Melbourne, Australien, 1967. Vielleicht denkt der ältere Herr gerade an Zürich und seinen kleinen «Schweizer Volkwagen» zurück, als im Fernsehen plötzlich der grosse Volkswagen läuft und läuft. Zehn Millionen VW Käfer! Erwähnt wird dessen «Vater» Ferdinand Porsche. Erwähnt werden auch als «Mitväter» Béla Barényi (Mercedes) und Hans Ledwinka (Skoda), die sich ihren Rang als Käfer-Beteiligte gerichtlich hatten erstreiten müssen. Nur der Name Josef Ganz fällt nie. Sein Name. Mit 69 Jahren rebelliert Ganz ein letztes Mal. «Ich habe den Käfer erfunden!», sagt er einer Lokalzeitung. Doch die Autowelt, die hört ihn nicht mehr.
In Zürich entwickelt Ganz einen «Schweizer Volkswagen» – doch dann beginnt der Zweite Weltkrieg.
Das war mal ganz anders. In die Zeitung kommt Ganz erstmals bereits als Bub. Im heimischen Wien hat er eine Schutzvorrichtung für die Strassenbahn entwickelt. Patent erteilt – mit zwölf Jahren! Der Bub wird zum Maschinenbauingenieur Josef Ganz und Chefredaktor der Frankfurter «Motor-Kritik». Deutschland fehle ein Massenauto à la Ford Model T, sagt Ganz. Und entwirft 1923 eins. Mit Zutaten wie am späteren Käfer – Zentralrohrrahmen, Pendelachse, Heckmotor – werden daraus 1930 und 1931 zwei Prototypen. Den zweiten tauft Ganz der Form wegen «Maikäfer». Ganz ist ein Autojemand, arbeitet für Adler, Ardie, BMW, Mercedes. Standard aus Ludwigsburg lanciert 1933 Ganz’ Ideen im Superior in Serie. Werbeslogan: «deutscher Volkswagen».
An der Automesse 1933 in Berlin verweilt ein Besucher auffällig lange am Superior: Reichskanzler Adolf Hitler. Ganz ist Jude – aber ihm selbst ist das völlig egal. Und als eine Nazi-Postille ihn «jüdischen Schädling» nennt, zieht er vor Gericht. Und gewinnt. Noch. Dann brennt der Reichstag, die Diktatur beginnt. Die Gestapo holt Ganz, ein Monat Haft, Autofirmen müssen ihm kündigen. Aber die Gefahr begreift Ganz wohl erst, als ihn ein früherer Kunde warnt, Hitler werde sich den Volkswagen kaum von den Patenten eines Juden verderben lassen. Ganz flüchtet 1934 in die Schweiz: Sein Vater war «NZZ»-Autor, Ganz hat hier Verwandte. Deutschland entzieht ihm 1938 Pass und Patente. Im selben Jahr krabbelt ganz ohne Ganz der spätere VW Käfer als «KdF-Wagen» los.
In Australien arbeitet Ganz nach dem Landesverweis der Schweiz für die GM-Marke Holden.
In Zürich blickt Ganz unverdrossen nach vorne. Gefördert vom Bund, entwirft er bei Rapid in Dietikon ZH den «Schweizer Volkswagen». Doch wieder kommen ihm die Nazis in die Quere: Der Zweite Weltkrieg stoppt das Projekt. Und die Schweiz ist nicht frei von Antisemitismus: Ganz wird denunziert, im Zürcher Polizeirapport steht was von «Parasit». Ganz informiert die Presse. Ein Skandal! Der «Tages-Anzeiger» ist auf Ganz’ Seite, nicht mehr aber die Schweizer Obrigkeit. Nach dem Krieg scheitert der jetzt veraltete «Schweizer Volkswagen» nach 36 Stück. Ganz steht vor dem Nichts und verklagt Volkswagen. Er will doch nur sein Recht, aber gilt als schwierig.
Streitfrage: Basierte der VW Käfer auf Ganz’ Ideen für den Standard Superior? Foto: VW
Behörden empfinden Ganz nun als Querulant. Dass seine Kufenfederung den Schweizer Bob an den Olympischen Winterspielen 1948 in St. Moritz zu Gold gleiten lässt, hilft nichts mehr: 1950 wird seine Aufenthaltsbewilligung nicht verlängert. Der 52-Jährige ist nun ein staatenloser Niemand. Der erste Herzinfarkt. Ganz will nur noch weg, möglichst weit weg: In Melbourne arbeitet er als Ingenieur der General-Motors-Tochter Holden.
Unumstritten bleibt: Ganz war ein exzellenter Ingenieur. Umstritten bleibt bis heute, wie gross sein Käfer-Anteil war: War er «Vater», Miterfinder, Inspirator oder «nur» zufällig Parallelvisionär? War sein Superior die Käfer-Blaupause? Darüber streiten Autohistoriker. Fakt ist: Das technische Konzept war seinerzeit nicht nur bei Ganz en vogue, der Begriff «Volkswagen» nicht neu. Doch wahr ist auch: Die Parallelen sind verblüffend.
Vielleicht liegt die Wahrheit in der Mitte. Zumal 1961 plötzlich alles nach Happyend aussieht: Jetzt will die Bundesrepublik Deutschland Ganz das Bundesverdienstkreuz verleihen und VW-Boss Heinrich Nordhoff ihn als Ingenieur nach Wolfsburg holen. Ganz strahlt. Doch er muss ablehnen – ein australisches Gesetz. Und schafft es nicht mehr nach Wolfsburg – ein erneuter Herzinfarkt. Es ist vorbei, Ganz kann nicht mehr, ist krank und gebrochen. Er gibt auf. Seine Suche nach Anerkennung und sich selbst: 1967, im Jahr des zehnmillionsten Käfers, stirbt Josef Ganz. Ganz allein. Der Käfer krabbelt bis 2003 weiter und findet 21,5 Millionen Freunde.
Ein Schweizer entreisst Josef Ganz dem Vergessen
Ein Schweizer Verwandter von Ganz und ein niederländischer Buchautor haben die vergessene Geschichte von Josef Ganz (1898 bis 1967) aufgearbeitet: Im Nelocom-Chef Lorenz Schmid aus Wichtrach BE fand Paul Schilperoord einen Mitkämpfer für Ganz’ Andenken. Es entstanden Schilperoords Buch «Die wahre Geschichte des VW Käfers», das Filmdokudrama «Ganz: How I lost my Beetle» (z.B. bei Amazon oder iTunes zu haben; einen Trailer gibt es auf youtube.com) und die Webpage josefganz.org.
Ein Schweizer Verwandter von Ganz und ein niederländischer Buchautor haben die vergessene Geschichte von Josef Ganz (1898 bis 1967) aufgearbeitet: Im Nelocom-Chef Lorenz Schmid aus Wichtrach BE fand Paul Schilperoord einen Mitkämpfer für Ganz’ Andenken. Es entstanden Schilperoords Buch «Die wahre Geschichte des VW Käfers», das Filmdokudrama «Ganz: How I lost my Beetle» (z.B. bei Amazon oder iTunes zu haben; einen Trailer gibt es auf youtube.com) und die Webpage josefganz.org.
Josef Ganz 1935 mit dem von ihm entwickelten Standard Superior in Zürich, Ecke Bärengasse und Bahnhofstrasse. Foto: josefganz.org
Lorenz Schmid aus Wichtrach BE, ein Verwandter von Josef Ganz, 2021 mit seinem Standard Superior an derselben Stelle. Foto: Beyer Chronometrie
Schlägt dein Herz für alte Fahrzeuge?
Hier geht es zu den Informationsveranstaltungen zum Lehrgang Fahrzeugrestaurator/-in. – nächste Termine 22. März, 21. Juni und 23. August 2023, jeweils in Olten SO. Weitere Informationen gibt es hier.
Hier geht es zu den Informationsveranstaltungen zum Lehrgang Fahrzeugrestaurator/-in. – nächste Termine 22. März, 21. Juni und 23. August 2023, jeweils in Olten SO. Weitere Informationen gibt es hier.
Kommentar hinzufügen
Kommentare