Digitalisieren heisst harmonisieren

Wie die Amag in die Zukunft fährt

Digitalisieren heisst harmonisieren

1. Juni 2023 agvs-upsa.ch – In den nächsten zehn Jahren wird sich im Garagengewerbe mehr verändern als in den letzten hundert Jahren. Dies hat auch erheblichen Einfluss aufs Geschäftsmodell der Amag Retail, die soeben eine eigene Garagen-App lanciert hat. Zwei Experten verraten Details.

artikel_1_chevin.jpgPatrick Chevin, Head of New Mobility bei der Amag Retail, erläutert die Digitalisierungsstrategie für die Amag-Partner. Foto: AGVS-Medien

jas. Das Konsumverhalten der Kundschaft hat sich komplett verändert – mit allen Konsequenzen. Doch wie sieht der Autohandel 2030 denn dann aus? Kauft der Kunde noch beim Garagisten? Auf welche digitalen Mittel will man im Mobilitätsbereich setzen? All diese Fragen musste sich auch die Amag stellen. Frank Böhmerle, CTO, und Patrick Chevin, Head of New Mobility der Amag Retail, erläutern den Weg der digitalen Transformation.

Herr Böhmerle, genau während des ersten Corona-Lockdowns haben Sie bei der Amag einen Online-Shop für Autos eingeführt. Wieso gerade dann?
Frank Böhmerle, CTO Amag Retail:
Im Frühjahr 2019 wurde in der Geschäftsleitung entschieden, unsere Webseite amag.ch komplett neu zu lancieren. Ziel war dabei eine integrierte Plattform für all unsere 86 Betriebe. Der integrierte Online-Shop mit über 5000 Neu- und Gebrauchtwagen wurde somit über Nacht quasi zu unserem grössten, schweizweiten Showroom. Wir möchten damit unseren Kundinnen und Kunden ein neuartiges, digitales Einkaufserlebnis ermöglichen, das sie von anderen Branchen bereits gewohnt sind. Man soll einfach und bequem ‹anytime and anywhere› einkaufen können und die Bestellung innert Tagen nach Hause geliefert bekommen.

Und wie hat sich dieser Online-Shop seither entwickelt?
Patrick Chevin, Head of New Mobility bei der Amag Retail:
Unsere Hypothese, dass Kunden unsere Autos auch online kaufen, wurde bereits am ersten Tag bestätigt: Binnen 24 Stunden war das erste Fahrzeug verkauft. Nach nur acht Monaten Entwicklungsarbeit in Kooperation mit einem deutschen Start-up haben wir ihn realisiert. Wir sind sehr zufrieden mit der Entwicklung unserer digitalen Kanäle. Wöchentlich dürfen wir über 200'000 Besuchende auf amag.ch registrieren. Die Verkaufszahlen entwickeln sich ebenfalls sehr positiv, und wir registrieren seit nunmehr drei Jahren steigende Wachstumsraten bei den Online-Käufen – wenn auch im Gesamtkontext unseres Retailgeschäft immer noch auf vergleichsweise tiefem Niveau. Auffällig ist das Interesse der Kundinnen und Kunden am Auto-Abo, das wir im April 2021 eingeführt haben. Wir konnten hier das Volumen im letzten Jahr mehr als verdoppeln.

An- und Verkauf oder auch Abos sind ja nur ein Teil des Gesamtgeschäfts der Amag. Welche Bereiche gilt es zudem noch zu digitalisieren – und kann man überhaupt alle Bereiche digitalisieren?
Patrick Chevin:
Wir legen grossen Wert darauf, während des gesamten Lebenszyklus ein Omni-Kanal-Kundenerlebnis anzubieten und einfachen Zugang zu unseren Dienstleistungen zu ermöglichen. So bieten wir neben dem Verkauf auch viele Aftersales-Dienstleistungen digital an: Online-Terminvereinbarung, digitale Schadenmeldung, Offerten und Bestellungen von Ladeinfrastruktur. Im Serviceprozess arbeiten unsere Mitarbeitenden seit über fünf Jahren mit Tablets und garantieren mit mobiler Service-Annahme und der bewährten Service-Cam eine nahtlose, interaktive Kundenberatung. Seit Anfang des Jahres testen wir in ausgewählten Betrieben auch einen digitalen Self-Check-in-Desk bei der Fahrzeugannahme.

artikel-chevin-2.jpgPatrick Chevin, Head of New Mobility bei der Amag Retail. Foto: Amag

Gibt’s weitere Bereiche?
Patrick Chevin:
Bei der Verkaufs-Journey entwickeln wir unsere digitalen Services laufend weiter: Kürzlich haben wir schweizweit unsere Occasions-Standorte mit digitalen Preisschildern ausgestattet. Anfang des Jahres haben wir auch den Leasing-Antragsprozess vollständig automatisiert. Bei all diesen kleinen Prozessoptimierungen und -automatisierungen stehen unsere Kunden immer im Zentrum. Einerseits vereinfacht die Digitalisierung unseres Geschäfts unserer Kundschaft den Umgang mit den Services rund ums Auto, andererseits wird auch das Handling bequemer. Die Digitalisierung spart unseren Kundinnen und Kunden Zeit und Aufwand und hilft uns, effizienter in unseren Abläufen zu werden.

Nun haben Sie auch die Amag-App gestartet – mit dem Claim «Ihre Garage in einer App». Was kann die App?
Frank Böhmerle:
Das Handy ist heute immer dabei und aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Ob wir shoppen, googeln, reservieren, chatten oder korrespondieren damit. Diesen Grundgedanken nahmen wir für die neue Amag-App zum Anlass und kreierten die persönliche Garage für die Hosentasche. Gemeinsam mit dem Start-up «autoSense» haben wir die neue App gebaut und vernetzen so unsere Kundschaft, das Auto und die Garage.

artikel_2.jpgFrank Böhmerle, CTO Amag Retail. Foto: Amag

Wozu sollten Kunden sie herunterladen?
Frank Böhmerle:
Wird ein Service fällig, kann ganz einfach über die App ein Service-Termin in der präferierten Garage gebucht werden. Auch Reifenwechseltermine oder Schadenmeldungen werden bequem und zeitsparend über die App angemeldet. Kunden und Kundinnen können über die App auch bargeld- und kontaktlos mit der Amag-Visa-Karte tanken oder mit der Amag-Electrified-Ladekarte an über 7000 Ladepunkten Strom beziehen. Die App wird zudem laufend mit neuen Funktionen erweitert und soll in Zukunft zum zentralen Kunden-Kontaktpunkt werden – mit einem attraktiven Bonus- und Loyalisierungs-Programm.

Welche Vorteile erhoffen Sie sich mit der App gegenüber anderen Autohändlern?
Patrick Chevin:
Sie kennen das von sich selbst: Wenn ein Service einfach, bequem zur Hand und zeitsparend ist, wird er genutzt. Jeder greift auf seinem Smartphone täglich auf seine präferierten Apps zu. Dahingehend setzen wir alles daran, dass die Amag-App Mehrwert für unsere Kunden generiert und sich die Vorzüge der Nutzung herumspricht. Wir möchten durch diese Empfehlungen die Kundenbindung erhöhen und bestenfalls die Kundenbasis erweitern.

Was bringt diese App denn Ihren Betrieben?
Frank Böhmerle:
Unsere Betriebe profitieren in verschiedener Hinsicht. Einerseits werden durch amag.ch und die Amag-App die Telefonzentralen entlastet, da immer mehr Kunden ihre Service-Termine online buchen. Durch die Automatisierung von Prozessen über die App können sich diese Mitarbeitenden intensiver um die Kundschaft vor Ort kümmern. Zudem spielt die App im Kontext der Kundenbindung in den nächsten Jahren eine wichtige Rolle. Durch die Vernetzung von Auto und Kunden über die App können die Betriebe in Zukunft viel direkter und persönlicher kommunizieren.

artikel_chevin-2.jpgFoto: AGVS-Medien

Wie wurden diese Digitalisierungsmassnahmen aufgenommen?
Patrick Chevin:
Natürlich hat jeder Change- und Transformationsprozess seine anfänglichen Herausforderungen. In jedem Unternehmen gibt es Mitarbeitende und Führungskräfte die offen gegenüber Veränderungen sind und neue Technologien schneller adaptieren. Andere halten eher am Status-Quo fest. Da wir das Thema Digitalisierung seit nunmehr über fünf Jahren vorantreiben und aktiv daran arbeiten, hat sich die Umsetzungsgeschwindigkeit und die Adaptionskurve massiv verbessert. Die Kooperation mit unseren Betrieben hat sich sehr positiv entwickelt und die gesamte Organisation respektiert heute die Koexistenz der Kanäle und sieht den Mehrwert, der für die Kundinnen und Kunden kreiert wird.

Was waren die grössten Herausforderungen bei der Umsetzung dieses Digitalisierungsschrittes?
Frank Böhmerle:
Die Anforderungen von 86 Betrieben in einem System zu standardisieren und auf einen Nenner zu bringen – sowohl technisch als auch prozessual – ist sehr herausfordernd. Denn digitalisieren heisst harmonisieren. Hinzu kommt die Geschwindigkeit, mit der sich technische Standards weiterentwickeln, die auch ein rasches Entscheiden, Handeln und Implementieren erfordern. Dabei gilt es vor allem die rund 4000 Mitarbeitenden, die mit diesen neuen Systemen und Tools arbeiten müssen, proaktiv auf den Transformationspfad mitzunehmen. Folglich auch Wege zu finden, die Mitarbeitenden zu schulen und sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Die Transformation ist schlussendlich ohne die richtigen Software- und Entwicklungspartner, mit denen wir die Digitalisierung unseres Kerngeschäftes umsetzen und vorantreiben, nicht möglich.

Immer mehr Leute und Dienstleistungen, die digital miteinander vernetzt sind: Das liefert auch Potenzial für Cyberangriffe. Wie sensibilisieren Sie intern und extern für dieses Thema?
Frank Böhmerle:
Datenschutz und Cybersecurity sind zwei wichtige Themen, in welche die Amag in den letzten Jahren stark investiert hat, um entsprechende Kompetenzen und Ressourcen aufzubauen. Die Beschaffung beziehungsweise Entwicklung jeder digitalen Plattform oder Software erfolgt nach klaren Kriterien und Sicherheitsvorgaben. Zudem schulen und sensibilisieren wir unsere Mitarbeitenden regelmässig und kontinuierlich auf mögliche Cyberbedrohungen. Unser Ziel ist es, Risiken im Umfeld der Informationssicherheit zu reduzieren. Wir brauchen hierfür ein Umdenken, denn der Schutz von Informationen ist weit mehr als eine IT-Angelegenheit.

Entwickeln Sie bei der Amag noch weitere Mobility-as-a-Service-Lösungen, von denen auch Garagisten profitieren können?
Patrick Chevin:
Im Bestreben, sich zur führenden Anbieterin individueller, nachhaltiger Mobilität zu entwickeln, macht die Amag-Gruppe konstant vorwärts. Vor allem Unternehmen und Überbauungen sehen sich zunehmend mit neuen Herausforderungen im Mobilitätsumfeld konfrontiert, um ihre Nachhaltigkeitsziele oder -auflagen zu erreichen. Das Amag-Venture und -Innovation-Lab hat aus diesem Grund die Mobilitäts- und Sharing-Plattform Allride entwickelt. Mit der Allride-App schaffen wir ein Angebot, das eine nachhaltige Nutzung von Mobilität in Arealen und neu auch bei Unternehmen fördert. Das firmen- und arealweite Vernetzen, Teilen und schlüssellose Nutzen von Vier- und Zweirad-Fahrzeugen wird somit einfacher, bequemer und effizienter. Zudem erhöht die App die Auslastung von Flotten, senkt die Kosten, spart Platz und trägt zu höherer Zufriedenheit von Mitarbeitenden und Mietern bei. Solche Tools werden auch für Garagisten wichtiger, denn in Zukunft wollen Kunden immer mehr gesamtheitliche, nachhaltigere Lösungen. Allride bietet die Plattform dazu.

artiekl_allride.jpgMit Allride for Business, der smarten Mobilitätsplattform der Amag Gruppe zur Vernetzung und zur effizienteren Auslastung von Fahrzeugflotten, lässt sich die Unternehmensmobilität nachhaltig verbessern. Als erstes grosses Unternehmen setzt die Zurich Versicherung darauf. Foto: Amag

Wie wichtig ist es, dass man sich für diese Entwicklung auch externes Wissen an Bord holt?
Frank Böhmerle:
Wie bereits vorhin an einigen Stellen erwähnt, ist die Transformation nicht mit bestehendem Wissen zu schaffen. Deshalb haben wir in den letzten Jahren einerseits unser Team kontinuierlich mit neuen Mitarbeitern und Spezialistinnen und Spezialisten, die Digitalisierungs-, Prozess-, neue Projektleitungs- und Entwicklungskompetenzen mitbringen, verstärkt. Andererseits arbeiten wir mit externen Start-ups, Agenturen und Dienstleistern zusammen, die uns helfen unsere Systeme weiterzuentwickeln.

Hand auf’s Herz: Hat der Garagist in der digitalen Welt noch eine Zukunft?
Frank Böhmerle:
Autos werden auch in Zukunft nicht digital repariert. Deshalb werden Garagen mit ihren Verkaufs-, Servicemitarbeitern und Mechanikern nach wie vor eine durchaus wichtige Rolle in der Wertschöpfungskette einnehmen. Auch wenn die Kundenschnittstellen sich vermehrt digitalisieren und Prozesse automatisiert werden, der persönliche Kundenkontakt ist und bleibt wichtig. Und Kundinnen und Kunden wünschen diesen ja auch explizit, denn die Arbeitsprozesse passieren schlussendlich physisch am Auto.

Gilt das auch für neu Marken?
Frank Böhmerle:
Das ist auch bei neuen Marken, die vermehrt wieder zu Verkaufs- und Servicezwecken in physische Standorte investieren, erkennbar. Das zeigt den traditionellen Händlern und Garagisten auf, dass ihre Dienstleistungen in Zukunft nicht obsolet werden. Allerdings bedeutet das auch, dass sich Garagen schnell transformieren müssen, um sich auf die veränderten Rahmenbedingungen und Mobilitätsthemen der Zukunft einstellen zu können.
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