Kunden umerziehen – geht das?

Dienstleistungen verrechnen

Kunden umerziehen – geht das?

20. September 2021 agvs-upsa.ch – Eine Wagenwäsche nach dem Service? Gratis! Eine Probefahrt? Kostenlos! Ein Beratungsgespräch inklusive Offerte? Geschenkt! Seit Jahrzehnten verwöhnen die Schweizer Garagisten ihre Kunden. Eine Entwicklung, die nur schwer zu korrigieren ist. 

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Dinge zu verrechnen, die bislang Usanz sind wie Beratung, Probefahrten oder Fahrzeugreinigung, ist sehr schwierig. Foto: AGVS-Medien

sco. Wer Kinder hat, der kennt das Prinzip. «Papi, darf ich heute ausnahmsweise Nutella zum Zmorge?» Sagt Papi zwei- oder dreimal Ja, ist die Ausnahme die neue Regel: Jeden Tag Nutella. Super, vielen Dank auch!

«Wir haben unsere Kunden so erzogen. Das jetzt zu ändern, wird sehr, sehr schwierig», sagt Markus Julmy, Garagist in Schmitten FR und Mitglied der AGVS-Kommission Service, Technik und Umwelt (KSTU). Die KSTU befasst sich intensiv mit dem Thema, wie Garagisten ihre Dienstleistungen adäquat verrechnen können. Markus Julmy blickt etwas neidisch auf den Einzelhandel: «Versuchen Sie einmal, bei Mediamarkt anzurufen und um Rat zu fragen, wenn der Drucker nicht richtig funktioniert. Als Antwort erhalten Sie, dass Sie das Gerät vorbeibringen und einen Reparaturauftrag erstellen sollen.» Er erhalte immer wieder Anrufe von Autofahrern, die eine Auskunft brauchen, «über etwas, das sie problemlos in der Bedienungsanleitung hätten nachschlagen können». Natürlich sind solche Dienstleistungen immer auch ein Instrument zur Kundenbindung. Doch, so Markus Julmy, «in der Menge sind diese Anfragen nur noch schwierig zu bewältigen».

Als ersten Schritt hat der Freiburger Garagist seinen Hol- und Bringservice verrechenbar gestaltet. 10 Franken verrechnet er pro Fahrt. Geld verdiene er damit nicht, so Julmy, allenfalls decke die Zehnernote einen Teil der Unkosten. «Es geht mir vielmehr darum, den Kunden zu zeigen, dass es nicht alles gratis gibt.» Acht Mitarbeitende sind in der Fiat- und Abarth-Markenvertretung tätig. «Weil wir klein sind, haben wir die Möglichkeit, diese Dienstleistung flexibel zu steuern», erklärt Markus Julmy. Das heisst: Einem Kunden im 30 Kilometer entfernten Bern bietet er den Hol- und Bringservice gar nicht erst an. «Die meisten meiner Kunden wohnen oder arbeiten im Umkreis von fünf Kilometern – da geht das einigermassen auf.» 

Einen Hol- und Bringservice bieten immer mehr Garagisten an, beispielsweise die Ruckstuhl Gruppe in Kloten oder auch die P. Schweizer AG in Liestal. Bei beiden Garagen war dieser Service zu den ärgsten Zeiten der Pandemie im Jahr 2020 sogar gratis. «Wir wollten damit verhindern, dass unsere Werkstattauslastung einbricht», erklärt Seniorchef und Verkaufsleiter Peter Schweizer von der P. Schweizer AG. Mittlerweile verrechnet er die Dienstleistung wieder – wie auch die Ruckstuhl Gruppe. Dort werden verschiedene Tarife je nach Distanz in Rechnung gestellt. Klingt einfach, ist es aber nicht. «Wenn ich um 17 Uhr ein Fahrzeug von Kloten nach Zürich bringe, dann mag der Weg kurz sein, die Fahrt dauert trotzdem lang», erklärt Geschäftsführer Kurt Giger. Einem Hol- und Bringservice ein Preisschild zu verpassen, sei in der Kommunikation mit den Kunden kein Problem, sagt Kurt Giger: «Aber dem Kunden Dinge zu verrechnen, die bislang Usanz sind wie Probefahrten, Beratung oder Fahrzeugreinigung, ist sehr schwierig. Das Problem beschäftigt uns seit Jahren, eine Lösung haben wir nicht.»

Die psychologisch wichtige Schwelle
So würden Dienstleistungen wie die Autowäsche nach Service- oder Reparaturarbeiten halt im Stundenansatz eingepreist. Das widerspricht zwar dem Grundsatz, dass eine Rechnung möglichst transparent sein soll, aber es erspart Diskussionen mit preissensiblen Kunden. Zudem sei im Raum Zürich bald die psychologisch wichtige Schwelle von 200 Franken pro Arbeitsstunde erreicht, sagt Kurt Giger: «Das ist eine kritische Marke. Sobald diese einmal gefallen ist, werden die Stundenansätze rasch weiter ansteigen.»

Markus Julmy hat das Problem der Gratis-Wäsche anders gelöst: Liegt der Rechnungsbetrag unter 500 Franken, verrechnet er seinen Kunden für eine einfache Reinigung (aussen in der Waschanlage, innen Saugen der vorderen Plätze, Abstauben und Reinigen Frontscheibe) 20 Franken. Das ist nicht viel, macht auf diese Weise aber mindestens 4 Prozent des Rechnungsbetrags aus.

Einen anderen Weg geht die Garage P. Schweizer. «Früher war es selbstverständlich, dass eine Wagenwäsche und eine Innenreinigung zum Service gehören», sagt Peter Schweizer. «Aber bei den heutigen Servicepaketen liegt das in diesem Umfang nicht mehr drin.» Eine Fahrt in die Waschanlage ist zwar weiterhin inbegriffen, aber für das Saugen des Innenraumes und die Fensterreinigung verrechnet die Seat-Vertretung pauschal 29 Franken. «Wir haben zahlreiche Seat Alhambra zum Service in der Werkstatt, klassische Familien-Vans. Da braucht man für eine sorgfältige Innenreinigung schnell eine halbe Stunde…» Dass 29 Franken da nirgendwohin reichen, nehme man in Kauf. Stichwort: Kundenbindung. 

E-Mobilität: Beratung wird umfangreicher 
Weiterhin ein Thema sind die Beratung und die Probefahrten. Für Kurt Giger, langjähriges Mitglied der KSTU, sogar eines der schwierigsten: «Wenn ein Kunde einen Wagen für einen oder zwei Tage testen will, ist er bereit, dafür etwas zu bezahlen. Für eine kürzere Probefahrt und ein Beratungsgespräch können wir aber nichts verlangen. Wenn wir das tun und es sich herumspricht, verlieren wir Kunden.» Die Situation sei schwierig und sie werde sich mit dem Trend zum Onlineverkauf zuspitzen: «Für Tesla beispielsweise ist das kein Problem. Dort kann man das Auto nur online kaufen. Wir aber laufen Gefahr, dass die Leute das Fahrzeug beim Garagisten testen und danach im Internet bestellen…»

Mit dem Aufkommen der E-Mobilität verschärft sich die Problematik zusätzlich. «Wenn wir ein Elektrofahrzeug verkaufen, verkaufen wir nicht nur das Auto, sondern auch die Installation beim Kunden zuhause. Das macht die Beratung umfangreicher», sagt Reto Gräub, Geschäftsführer des Gräub Auto Centers in Oberentfelden mit den Marken Ford, Dodge und RAM. Mit drei Stunden Beratung rechnet Reto Gräub vom Erstkontakt bis zum Verkauf, einen allfälligen Eintausch des bisherigen Fahrzeugs nicht eingerechnet. Dafür gibt es von Ford für einen neuen Mustang Mach-E nicht mal 2 Prozent Marge. «Und: Ich kann den Wagen nicht selbst verkaufen, sondern muss den Kunden auf die Ford-Website verweisen, wo er eine Akonto-Zahlung leisten muss, und ihn bitten, er möge doch unter dem Menupunkt Händler meine Firma anklicken…» Die Beratung und die Probefahrt dem Kunden verrechnen zu wollen, hält Reto Gräub für aussichtslos: «Wenn Sie das tun und die Nachbarn nicht, dann beenden Sie das Experiment rasch wieder.»
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Kommentare


Beat Jenny 21. September 2021 - 10:11
Schauen wir uns doch mal in den anderen Branchen um, was machte z.B. Easy Jet aus? Der Kunde wählt sein Programm, also die Dienstleistung. Im Autohaus setzen wir voraus, dass wir die Lösung ständig präsentieren. Drehen wir es doch um und fangen an, die Kunden zu fragen. Beispiel Ablieferung, hier gibt es einen Preis und fertig, anstatt sich zu überlegen, ob es auch möglich ist einen gestaffelten Preis zu machen. Das gleiche gilt für die Reinigung (in Zukunft ein sehr wichtiges Geschäft im AS), lasst doch den Kunden entscheiden was er möchte, dazu gibt es verschiedene Pakete welche der Kunde auswählen soll. Beat Jenny www.trepos.ch

Strub Emil 21. September 2021 - 11:09
Da sieht mal wieder einmal die Mentalität der Garagen. Man ist sich nicht einig. Man kann das, verbotenerweise, auch absprechen, doch keiner wird sich daran halten