Zieht sie an allen vorbei?

WorldSkills 2024

Zieht sie an allen vorbei?

11. Juli 2024 agvs-upsa.ch –​ Sophie Schumacher hat in ihrer jungen Karriere schon viel erreicht. Derzeit laufen die Vorbereitungen für die Berufsweltmeisterschaften im September in Lyon (F). Das mediale Interesse an ihrer Leistung hat bereits angezogen. Cynthia Mira


«Man hat nichts zu verlieren. Es ist toll, dass es solche Wettkämpfe überhaupt gibt und man sich im Beruf mit Gleichaltrigen messen kann», sagt WorldSkills-Teilnehmerin Sophie Schumacher. Fotos: AGVS-Medien.

Sie solle das tun, was ihr Spass mache. So lautete die Botschaft von Sophies Eltern bezüglich ihrer Berufswahl. Gesagt, getan. Sophie Schumacher wurde Automobil-Mechatronikerin mit Fachrichtung Nutzfahrzeuge – und wird derzeit als beste junge Fachkraft im Land gefeiert. Die 22-Jährige steht als erste Frau überhaupt kurz vor den Weltmeisterschaften. Auf sie wartet im Herbst somit die bisher grösste berufliche Challenge mit den WorldSkills in Lyon (F).

Die ersten Trainings, um im internationalen Feld mitzuhalten, hat sie bereits absolviert. Diese würden super laufen, wie ihr Experte Jean Trotti von der Kolly AG bestätigt. Seine Motivation für die Unterstützung junger Fachleute scheint unermüdlich. Schon manch ein Talent hat er auf solche Wettkämpfe vorbereitet. «Natürlich habe ich Spass! Als ehemaliger Wettkämpfer habe ich selbst riesige Freude daran, unsere jungen Berufsleute zum Erfolg zu führen», sagt er. Er sei auch sehr stolz darauf, dass das Talent Sophie das Schweizer Autogewerbe vertrete. «Wir haben eine faire und starke Vorausscheidung mit mehreren Wettkämpfen gemacht, deshalb bin ich sicher, dass wir die beste Kandidatin auserkoren haben», so Trotti.


Sophie Schumacher.

Schwarz oder Weiss gibt es im Alltag nicht
Die Bernerin wird in den kommenden Wochen mit mehreren Partnern Testläufe absolvieren. Zudem warten zwei internationale Trainings mit Kandidaten aus den Nachbarländern. Einen Erfolg im EU-Umfeld konnte sie schon im Januar mit dem zweiten Rang am EuroCup verzeichnen. Weiter eigne sie sich derzeit im Selbststudium die Schaltpläne und Werkstattanleitungen von Renault Trucks an. Denn darin liege die grösste Herausforderung. «Ich kenne aus dem Alltag vor allem die Nutzfahrzeuge von Scania, MAN und Iveco. Das ist eine Challenge, wenn man unter Zeitdruck auf ein ganz anderes Modell umstellen muss», sagt sie. Dass sie alle Posten am Wettkampf zudem auf Englisch verstehen muss, sei für sie hingegen kein Problem.

Den grössten Unterschied zwischen Wettkampf und Alltag erklärt die Mechatronikerin in der Art, wie die Fehler bei den «Schweren» auftreten. Schliesslich kann man die Realität und all die Faktoren, die auf die Lastwagen in den unterschiedlichsten Facetten einwirken, nie ganz abbilden. «Im Alltag sucht man nach vielen Gründen. Sprich, man trifft es selten an, dass einfach ein Kabel plötzlich durchtrennt ist oder so.» Während es in der Werkstatt also viele Grauzonen gebe, treffe man auf dem Wettkampfplatz in der Regel klare Verhältnisse an. «Es gibt nur Schwarz oder Weiss. Die Fehler sind nur selten logisch. Sie sind in sich logisch, ja, aber es sind nicht solche, die man im Alltag sieht.» Ihr gefalle es aber, dass man stets dazulerne, das gelte für den Alltag, im Training oder auch an einem Wettkampf.

Einfach ausprobiert, auch wenn es schiefging
Den Ort Lyon hat sie zusammen mit den anderen 45 Kandidaten, die in den unterschiedlichsten Berufsfeldern an den WorldSkills antreten werden, bereits besucht. Auch mit dem Luzerner Nevio Bernet, der als Mechatroniker für die Personenwagen an den Start gehen wird, ist sie im Austausch. Die Dachorganisation SwissSkills organisiert im Vorfeld mit dem Nationalteam solche gemeinsamen Events. «Es war toll, die anderen kennenzulernen, und wir lernten auch den Umgang mit Medien», so Sophie Schumacher weiter. Das scheint hilfreich, hat sie doch manch ein Interview seit der Qualifikation gegeben. Beispielsweise erhielt sie im Betrieb jüngst Besuch vom Bieler Tagblatt.

Sophie Schumacher ist ihrem zweiten Lehrbetrieb treu geblieben. Dort hat sie die letzten anderthalb Jahre ihrer Lehre verbracht, nachdem die erste Firma hatte geschlossen werden müssen. Aber sie hat den Standort gewechselt. Ursprünglich als Aushilfe eingesprungen, arbeitet sie beim LKW-Spezialisten Recam S.A in St-Blaise NE. «Mir hat es hier so gut gefallen, dass ich geblieben bin», sagt sie. Zudem habe sie so ihr Französisch aufbessern können. Vom Unternehmen gibt es für die WorldSkills-Zeit ein Sponsoring und drei Wochen zusätzliche bezahlte Ferien.

André Reinhard, Geschäftsleiter der Camionrep AG in Studen BE, findet für Sophies Werdegang lobende Worte. Sie habe schon als Lernende viele Eigenschaften mitgebracht, die es für einen solchen Durchbruch brauche. Dazu gehöre ein grosses Interesse an der Technik, Einsatzfreude und Power, Eigeninitiative und Durchhaltevermögen. Sie sei hochmotiviert, belastbar, fähig und selbstsicher. «Sophie probierte einfach aus, auch wenn mal was schiefging», sagt er.


Ihr gefiel es so gut im französischen Betrieb in St-Blaise NE, dass sie nach der kurzen Aushilfe eine feste Stelle antrat.

Eine Begeisterung, die ansteckt
Ihr Beispiel habe auch einen positiven Einfluss auf die Unternehmenskultur und auf den Ruf als Lehrbetrieb, so Reinhard weiter. Gleichzeitig habe ihr die Firma sicher auch das richtige Umfeld geboten. «In erster Linie ist Sophie allein für ihren Erfolg verantwortlich. Uns als Lehrbetrieb ist es wichtig, unseren Lernenden schon früh Eigenverantwortung zu appellieren und ihnen viel Entscheidungsfreiheiten zu lassen. Zudem vermitteln wir ihnen einen gesunden Berufsstolz.» Die Kollegen hätten sich ebenso an Sophies Interesse und Freude am Beruf begeistert und unterstützten sie darum umso lieber.

Das scheint auch mit ein Grund zu sein, warum sie von ihrem Lehrbetrieb als «Zugpferd» angesehen wird, das jederzeit fähig ist, auch ein ganzes Team mitzuziehen. In Lyon dann zieht sie hoffentlich allen davon.
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