Eine Chance für beide Seiten

Garagistenzmorge bei Erne & Kalt

Eine Chance für beide Seiten

12. November 2024 agvs-upsa.ch – Esrom Dawit ist ein Lernender, den jeder AGVS-Betrieb gerne in seinen Reihen hätte. Und doch ist der Ausbildungsweg des heute 23-jährigen Autofachmanns, der sich nun zum Automobil-Mechatroniker weiterbildet, speziell. Ein Besuch im Ausbildungsbetrieb im aargauischen Döttingen macht klar, warum. Jürg A. Stettler

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Das eingespielte Team von Erne & Kalt, das gemeinsam vorangeht (v. l. n. r, stehend): Jawid Rashidi, Esrom Dawit, Irxhan Ismaili, Mirko Nyffeler, Jogi Bolliger, Noah Hirt. Kniend: Dario Cocchetti, Giuseppe Codianni, Küde Bösch, Jorge Neves und Oliver Kalt. Fotos: AGVS-Medien.

Unterwegs von Baden via Untersiggenthal nach Koblenz könnte man eingangs Döttingen locker an der sich im Industriegebiet befindenden Garage Erne & Kalt vorbeirauschen. Dabei sollte man sich die Adresse des AGVS-Mitglieds und Markenhändlers für Citroën, Peugeot und DS Automobiles merken. Das hat gleich mehrere Gründe. Zwar hat auch das Team um Inhaber Oliver Kalt mit einer steigenden Antriebsvielfalt im Verkauf, was die Beratung komplexer macht, und sinkenden Margen oder auch starkem Kundenzuwachs im Werkstattgeschäft bei gleichzeitigem Fachkräftemangel zu kämpfen. Doch die Döttinger stecken nicht einfach den Kopf in den Sand, sondern suchen nach Lösungen.

Selbst neue Fachkräfte ausbilden
So hat man sich beispielsweise ein zusätzliches Standbein aufgebaut, indem man Autos nicht nur verkauft und repariert, sondern auch vermietet. Und dieses Miet-Angebot reicht vom Klein-bis zum Lieferwagen, auch Camper sowie Oldtimer und natürlich praktisches Zubehör wie Fahrradträger oder Dachboxen stehen zur Miete bereit. «Unser Mietangebot wird rege genutzt», freut sich Oliver Kalt. Doch auch punkto des grassierenden Fachkräftemangels agiert das AGVS-Mitglied vorbildlich und ergänzt ganz trocken: «Wer nur jammert, dass er keine Fachkräfte oder Lernenden findet, aber selbst keine ausbildet, den verstehe ich nicht.» Konsequenterweise bildet Oliver Kalt in seinem Betrieb neue Fachkräfte aus, einer davon ist der 23-jährige Esrom Dawit. Der junge Eritreer hat soeben seine dreijährige Ausbildung zum Autofachmann erfolgreich abgeschlossen und hängt nun die verkürzte Grundbildung zum Automobil-Mechatroniker an. 

Nicht nur eine Chance für Esrom Dawit
Keine Selbstverständlichkeit und für Esrom Dawit eben doch. Sein Vater flüchtete 2015 aus dem vom Bürgerkrieg gezeichneten ostafrikanischen Land in die Schweiz. Und vor fünf Jahren durften Esrom und seine Geschwister im Zuge des Familiennachzugs ebenfalls in die Schweiz kommen. «Wir flüchteten zuerst nach Äthopien und durften dann in die Schweiz reisen», erinnert sich der junge Eritreer. «Hier habe ich versucht, möglichst schnell Deutsch zu lernen. Denn ohne die Sprache kann man sich nicht integrieren», erläutert er. Doch wieso hat er sich gerade für eine Ausbildung im Autogewerbe und bei Erne & Kalt entschieden? «Ich hatte auch noch Schnupperwochen als Schreiner und als Polymech absolviert, danach hat mir mein Mentor Thomas Kräuchi empfohlen, auch einmal in einem Garagenbetrieb zu schnuppern, und es hat einfach gepasst.» Kräuchi, Mitglied bei Netzwerk Asyl und zudem Integrationsbeauftragter der Gemeinden Döttingen und Klingnau, überzeugte Mirko Nyffeler, den technischen Leiter von Erne & Kalt, davon, Esrom einmal in den Werkstattalltag eintauchen zu lassen.

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«Ich schätze die Teamarbeit und habe Freude daran, etwas Kaputtes wieder zu reparieren». Esrom Dawit

Zum «Bünzli-Schwiizer» geworden 
«Von aussen könnte man das nun einfach so sehen, dass Esrom bei uns eine Chance gekriegt hat. Aber es war gleichzeitig auch eine Chance und Bereicherung für unseren Betrieb», blickt Oliver Kalt zufrieden auf den damaligen Entscheid zurück. Dabei gibt der Inhaber unumwunden zu: «Klar hatten auch wir Vorbehalte gegenüber Eritreern. Schliesslich haben wir – wie alle – in den Medien von den Spannungen bis hin zu Schlägereien zwischen Anhängern und Gegnern des eritreischen Diktators Isaias Afewerki gelesen.» Zudem habe ihn Thomas Kräuchi ursprünglich sogar gewarnt, dass Eritreer einen gewissen Hang zur Unpünktlichkeit hätten, erinnert sich Kalt. «Doch da ist Esrom definitiv absolut untypisch. Er war in all den Jahren bislang noch nie eine Minute zu spät.» Dann meint Kalt mit einem strahlende Lachen: «Diesbezüglich ist Esrom somit schon fast zu einem ‹BünzliSchwiizer› geworden.» Schweizer vielleicht noch nicht, aber sicherlich ein vollwertiges und geschätztes Mitglied des Erne & Kalt-Teams ist der angehende Automobil-Mechatroniker. «Inzwischen sind wir fast ein wenig eine Multikulti-Truppe», ergänzt Oliver Kalt mit Blick auf seine Angestellten in der Werkstatt, deren Herzen bei Fussballmatches neben der Schweiz auch für Portugal, Deutschland, die Türkei oder Afghanistan schlagen.

Win-Win-Situation für beide Parteien 
«Esrom profitierte ursprünglich davon, dass ein anderer Lernender nach nur einer Woche feststellte, dass der lange im Vorfeld ausgesuchte Beruf doch nicht das Richtige für ihn war und einfach wieder absprang», erinnert sich der Firmeninhaber. Dadurch hätten sie unerwartet einen offenen Ausbildungsplatz gehabt und hätte diese Lücke danach rasch gefüllt werden können. «Das war für beide Parteien eine absolute Win-Win-Situation», so Oliver Kalt, «denn Esrom selbst hätte auch noch weiter zuwarten müssen, bis er anderswo eine Arbeit hätte starten können.» Der junge Eritreer fühlt sich beim Spezialisten für die französischen Marken sehr wohl. «Ich schätze die Teamarbeit und habe Freude daran, etwas Kaputtes wieder zu reparieren»,führt er aus, während er einen Citröen C3 Air cross reinigt und dem Innenraum den letzten Schliff verleiht, bevor das Fahrzeug wieder an den Kunden rausgeht.

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Autofachmann Esrom Dawit freut sich, dass er mit der Ausbildung zum AutomobilMechatroniker nun weitere Kompetenzen erlernen kann.

Sprache als Herausforderung
Nach seinem erfolgreichen Lehrabschluss als Autofachmann sind für Esrom Dawit als Automobil-Mechatroniker auch die Aufgaben gebiete vielfältiger geworden. «Nun kann ich viel mehr im Diagnosebereich tätig sein, was ich äusserst spannend finde. Zudem kann ich mich jetzt um eine grössere Bandbreite an Antriebsvarianten kümmern als zuvor», erläutert er. Ist dabei die Sprache nicht manchmal eine Herausforderung? «Doch, ich bin deshalb immer daran, meine Sprachkenntnisse zu verbessern.» Dabei spricht der Eritreer, der erst vor fünf Jahren als Flüchtling in die Schweiz kam, schon ausgezeichnet Deutsch, liest Bü­ cher und versteht inzwischen auch Schweizer deutsch. Dabei geholfen und ausserdem seine Integration klar gefördert hat sicherlich auch das Engagement für den Sportverein Koblenz. Hier ist der 23-Jährige als Hilfsleiter tätig – und zwar auch nach seinem Umzug ins rund dreissig Minuten entfernte Frick. «Ich treibe gerne Sport, und die Jugendarbeit ist ein guter Ausgleich zum Arbeitsalltag.»

Noch klare Ziele vor Augen
Wobei der junge Automobil-Mechatroniker noch viele weitere Interessen hat und pflegt. Er singt in einem Chor und ist zudem in der eritreischen Kirchgemeinde aktiv. Alles Aktivitä­ ten, die ihn von manchen Gleichaltrigen unterscheiden, genauso wie übrigens seine Autowahl. «Ich fahre einen gebrauchten Citröen C4 Picasso, an dem ich auch immer wieder selbst Hand anlege und schon einiges verbessert habe», verrät er schmunzelnd. Ein siebenplätziges Familienmodell und nicht etwa ein alter Kompaktsportler mit Spoiler, eine ungewöhnliche Wahl und eben doch so passend für den Familienmenschen, der noch klare Ziele für seine Zukunft in der Schweiz hat. «Ich interessiere mich auch für betriebswirtschaftliche Belange, kann mir daher gut vorstellen, vielleicht später auch in diese Richtung eine Weiterbildung zu machen. Und vielleicht mache ich mich eines Tages sogar selbstständig.» 

Aktuell sind diese Pläne noch Zukunftsmusik, aber sein Chef Oliver Kalt freut sich, dass er mit Esrom Dawit einen so engagierten Mitarbeiter hat. «Wir haben sehr schnell gemerkt, dass er ein sehr intelligenter Mensch und eine echte Bereicherung für unser Team ist.» Selbst wenn es im teils hektischen Werkstattalltag anfangs etwas mehr Zeit gebraucht hat, um etwas zu erklären oder einen Arbeitsschritt verständlich zu machen, zahle sich diese Investition und auch der im ersten Moment ungewöhnliche Weg der AGVS-Garage, einem jungen Flüchtling eine Chance und Lehrstelle zu geben, längst aus – für beide Seiten!

Weitere Infos unter: erne-kalt.ch
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